Wer heute vor Mitternacht kommt, findet die Höhle verlassen. Einzelne Trinker sitzen mit ihrem Bier in den Nischen. Rauchen. Reden leise. Jeder Schritt, jeder Laut scheint zu stören. Wenn Orpheo heute ein Konzert gibt, dann tritt er im Theater auf: Plakate verkünden sein Kommen, das Radio berichtet. In den Zeitungen übertrumpfen einander die Kritiker. Trotzdem: Kein Auftritt ist jemals wieder so gewesen, wie damals in der Höhle, als noch Mut dazu gehörte, öffentlich Orpheos Lieder zu singen. Das Konzert stand nicht im Programm. Es gab kein Plakat. – Trotzdem war die Höhle voll, vor der Bühne trat man sich schon auf die Füße. Totschweigen war die beste Werbung: Das sprach sich herum, zuerst in der Tonne, dann in der Akademie. Schließlich wußte es ganz Athen. Das sicherste Zeichen für Langeweile hingegen war das Lob der Zeitung: Etwas Schlimmeres konnte einem Künstler nicht passieren, als der Beifall der Presse. Orpheo spielte göttlich Gitarre: Seinen Liedern konnte man lauschen. Oder tanzen zu ihrem Rhythmus. Krates vollführte vor der Bühne groteske Rituale: Wie ein balzender Vogel stolzierte er um seine Katze. Er hielt die Arme in der Luft ausgebreitet und wedelte mit den Händen. Mitten im Gedränge flatterte Krates mit geschwollenem Kamm über die glitschigen Steine. Morgen würde er seinen Ranzen packen und wieder losziehen. Meist war er dann das ganze Jahr unterwegs und wohnte bei Freunden, die ihn gern aufnahmen, weil jeder Ärger sofort verflog, wo Krates auftauchte. – Warum also in Athen leben? – Jedes Haus der Welt steht mir offen, meinte Krates: Ich bin Bürger der Welt. |
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